„Wie das Reden über Migration das Schweigen über gesellschaftliche Herausforderungen organisiert“. Das war unser Gedanke, als nach dem tödlichen Anschlag von Aschaffenburg der Bundestagswahlkampf endgültig in eine immer offener rassistische Debatte zum Thema Migration kippte und auch neue und immer krassere Verschärfungen in Asyl und Migrationsrecht auf den Weg gebracht wurden.
Es ist kein neuer Gedanke und es ist keine neue Erfahrung, dass es möglich ist, solche Ereignisse ohne einen tatsächlichen sachlichen Hintergrund für die eigene politische Agenda zu nutzen. Zugleich erinnern wir uns an den Bundestagswahlkampf 1990. Der SPD-Kandidat Oskar Lafontaine warnte vor der Bedrohung des ‚sozialen Netzes‘ durch die Familien von Aussiedler*innen. Der CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg Lothar Späth führte verstärkte Grenzkontrollen ein und forderte mit Vokabeln wie ‚Zeitbombe‘ und ‚Flächenbrand‘, den Anspruch auf Asyl abzuschaffen, Edmund Stoiber (CSU) polemisierte gegen Asylbewerber*innen, durch die aus Deutschland eine „durchrasste und durchmischte Gesellschaft“ würde. In der Folge, so zeigten kurze Zeit später Untersuchungen, warfen sehr viele Wähler*innen alle neu ins Land kommende Menschen in einen begrifflichen Topf und lehnten sie als ‚Ausländer*innen‘ ab. Die aggressiven öffentlichen Diskurse gegen die ‚Neuankommende‘ trugen erheblich dazu bei, dass es u.a. in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen zu rassistisch motivierten Gewalttaten und tödlichen Brandanschlägen gegen Menschen mit Migrationsgeschichte kam. Die Brandstifter saßen auch damals schon auf beiden Seiten der Brandmauer. Nun haben CDU, FDP und BSW sich gemeinsam der AfD die politische Anerkennung gegeben, wen wundert es. Zu dieser gefährlichen politischen Entwicklung hat sich in den letzten Wochen jedoch ein breiter Widerstand gebildet. Dies findet auch Ausdruck in sehr wichtigen Aufrufen und Texten, von denen wir im zweiten Teil dieses Sondernewsletters einige dokumentieren.
Im ersten Teil stellen wir verschiedene Aktivitäten vor, mit denen sich das Netzwerk – nach längerer Pause – aus einer migrationspädagogischen, sozialarbeiterischen, rassismuskritischen Perspektive in die Debatte einmischen will. Wir sind zum einen davon überzeugt, dass wir aus unserer professionellen Perspektive einen wichtigen Beitrag zu einer gesellschaftlichen Debatte leisten können und durch unser Mandat dazu auch verpflichtet sind. Uns ist zum andern bewusst, dass wir auch in unseren eigenen Handlungsfeldern nicht davor gefeit sind, dass sich mächtige gesellschaftliche Narrative und reelle gesellschaftliche Veränderungen auch in unserer eigenen Arbeit reproduzieren.
Der Aufruf „Wie das Reden über Migration das Schweigen über gesellschaftliche Herausforderungen organisiert“ richtet sich daher zuvorderst auch an Verbände, Institutionen, Organisationen und Netzwerke aus der Sozialen Arbeit, Beratung und Bildung mit der Aufforderung, sich damit auseinanderzusetzen und sich dem Aufruf anzuschließen.
Am 18.2. werden wir zu den Positionen und Gedanken des Aufrufs eine Online-Veranstaltung organisieren.
Wie brandgefährlich die aktuelle politische Entwicklung ist, haben wir wieder in den Wochen nach der Amokfahrt von Magdeburg gesehen, als es in den Wochen danach zu unzähligen rassistischen Übergriffen auf als Migrant*innen gelesene Personen kam. Das Netzwerk hat mit dem Antidiskriminierungsverband Deutschland dazu eine virtuelle Solidaritätskundgebung mit beeindruckenden Beiträgen organisiert. Der Podcast steht nun zur Verfügung.
Herzlichen Dank an Annita Kalpaka und Rudolf Leiprecht für die Mitarbeit an diesem Sondernewsletter.
Dieser Sondernewsletter enthält ausschließlich Beiträge zur aktuellen Situation. Wir werden in Bälde den gewohnten regulären Newsletter veröffentlichen.
Liebe Grüße
das Redaktionsteam
Sondernewsletter „Rassismuskritische Migrationspädagogik“ – Februar 2025:
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Das Netzwerk Rassismuskritische Migrationspädagogik Baden-Württemberg versteht sich als Forum von Menschen aus den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Bildung/Weiterbildung, Hochschule sowie angrenzenden Professionen, die sich fachlich und (fach-)politisch in den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Weiterbildung – und auch darüber hinaus – einmischen und dort Rassismus selbststärkend, reflexiv-kritisch und wenn nötig auch skandalisierend zum Thema machen.
Das Netzwerk informiert mit diesem Newsletter Interessierte in Abständen von circa zwei Monaten über aktuelle Entwicklungen, Veranstaltungen und Publikationen in den Feldern der Rassismuskritik und Migrationspädagogik.
Der Newsletter erreicht bundesweit über 2300 Adressen und wird weitgehend ehrenamtlich erstellt. Die Auswahl der Beiträge lebt auch von den Empfehlungen (info@rassismuskritik-bw.de), die bei uns eingehen, und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Redaktion: Andreas Foitzik, Sabine Pester und Axel Pohl