Es gibt trotz der düsteren Zeiten mit einem stetig voranschreitenden Rechtsruck und immer weiter eskalierenden Kriegen auch Erfolge zu feiern, doch dazu später.
Viele von uns waren überrascht und begeistert, als Anfang des Jahres endlich Bewegung in die Erstarrung kam, mit der auch große Teile der emanzipatorischen Bewegungen dem Erstarken faschistischer Kräfte in Deutschland, in Europa und in der Welt begegneten. Es waren kurze Momente der gefühlten Ermächtigung gegen das Gefühl der sich ausbreitenden Ohnmacht.
Nun – einige Monate später kommentiert Max Czollek auf X: „Ah ja und nicht nur blieben die Demos Anfang 2024 ohne jede politische Konsequenz. Die Regierung machte einfach weiter mit Zugeständnissen an den rechten Rand, als wären ihr da die Hände gebunden. Oder als hätte sie einfach auch keine bessere Idee als diese ewig gleiche Angst“.
In einem anderen Beitrag stellt er auch eine Verbindung her zu der Polarisierung in den Debatten um die Situation in Israel. „Ich vermute, dass die Debatte über Antisemitismus & Nahost in D auch darum so heftig ist, weil sie die Diskussion über die Stärke der AfD ersetzt. So lässt sich weiter die eigene erfolgreiche Aufarbeitung beweisen, die ja aktuell so fundamental in Frage steht wie noch nie.“
Beiden Themen, die Folgen der Correctiv-Recherchen, wie die Debatten um Israel sind Schwerpunkte in diesem Newsletter. Isabelle Ihring schreibt dazu in ihrem Gastkommentar: „Pauschale Verteufelungen oder gar Verbote von kritischen Wissenschaften wie postkolonialen Theorien oder Critical Whiteness werden aber nicht dazu führen, dass diese verschwinden oder nicht-weiße Menschen aufhören, für die Anerkennung ihrer Perspektiven zu kämpfen. Sie werden auch das Rassismusproblem in Deutschland nicht kleiner machen – im Gegenteil: diese pauschalen Diskreditierungen spielen genau den Menschen in die Hände, die uns alle am liebsten deportieren wollen“.
Umso wichtiger sind die kleinen und großen Erfolge im Kampf gegen Rassismus und umso wichtiger ist es, die Menschen zu feiern, die diese Erfolge mit langem und unermüdlichem Einsatz erreicht haben. Wir haben den Kampf der Schweizer Allianz gegen Racial Profiling und vor allem den beharrlichen und konsequenten Weg von Mohamad Wa Baile in diesem Newsletter über die Jahre begleitet. Im Februar kam nun folgende Pressemitteilung[1]: „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilt im Fall Wa Baile gegen die Schweiz, dass die Schweiz in drei Punkten gegen die Europäische Konvention der Menschenrechte verstoßen hat. Das Urteil ist ein Meilenstein im Kampf gegen Racial Profiling und institutionellen Rassismus: Der heutige Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR gibt dem Schweizer Beschwerdeführer Mohamed Wa Baile in allen Punkten Recht.“
Der Gerichtshof nimmt mit diesem Urteil die Schweiz – und alle Länder, die Mitglied der europäischen Menschenrechtskonvention sind – in die Pflicht, umfassende und wirksame Vorkehrungen zu treffen, rassistische Polizeikontrollen künftig effektiv zu verhindern und zu untersuchen, ob diskriminierende Gründe bei einer Identitätskontrolle eine Rolle gespielt haben. Er stellt fest, dass man keine Indizien vorlegen muss, dass eine Kontrolle einen Fall von Racial Profiling darstellt – eine Glaubhaftmachung reicht aus, dann muss der Staat das Gegenteil beweisen.
In einer wirklich beeindruckenden Pressekonferenz[2] macht Tarek Naguib, einer der Aktivist*innen der Allianz deutlich, dass dieser Erfolg alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Die Entscheidung von Mohamad Wa Baila, über neun Jahre (trotz beschleunigtem Verfahren!) durch alle Instanzen zu gehen, hatte für ihn einen hohen Preis. Er wäre aber auch nicht möglich gewesen ohne tausende von ehrenamtlichen Stunden in der Begleitung der strategischen Prozessführung und Kosten von über 100.000 Schweizer Franken, die über Kleinspenden aufgebracht werden mussten. Die Allianz hat in einer beispiellosen Kampagne mit Wissensarbeit, Forschungsarbeit mit 30 Menschen, die Racial Profiling erlebt haben, Erstellen von Publikationen zu strukturellem institutionellem Rassismus und Öffentlichkeitsarbeit nichts anderes getan, als den Staat daran zu erinnern, seinen Job zu machen. Tarek Naguib sagt dann auch deutlich: „Es darf nicht sein, dass man nur zu seinem Recht kommt, wenn sich ein Mensch dem aussetzt und solche eine Unterstützung organisieren kann!“ Die Allianz schätzt, dass etwa ein Drittel der Personenkontrollen in der Schweiz diskriminierend sind, kaum eine davon kommt vor Gericht. Das gleiche gilt erst recht für weit gravierendere Fälle von Polizeigewalt, die zeigen, dass die Justiz der Schweiz das Thema Rassismus nicht ernst nimmt[3].
Was die Schweizer Aktivist*innen in dieser Kampagne erlebt haben, kennen viel von uns nur zu gut. Wenn die Polizei kritisiert wird, fällt der Politik nichts anderes ein, als sich demonstrativ vor die Polizei zu stellen. Tarek wiederholt bei der Pressekonferenz daher nochmals die Position der Allianz: Es geht bei der Kampagne gegen Racial Profiling um die Institution Polizei und die Führungspersonen und Politiker*innen, die den institutionellen Rassismus der Polizei zu verantworten haben. Es geht nie um die einzelnen Polizist*innen. Genau das ist das Problem, das der institutionelle Rassismus hervorbringe, dass die einzelnen nicht das Wissen, nicht die Vorgaben und keine institutionelle offene Fehlerkultur haben, die es ihnen nahelegen, eine andere Praxis zu etablieren. Wenn die Verantwortungsträger*innen nun sagen, sie stellen sich vor die einzelnen Polizist*innen, geht das an der Sache völlig vorbei.
Zuletzt wollen wir noch einem anderen Aktivisten gedenken, der die letzten Jahrzehnte den Kampf gegen Racial Profiling und Rassismus in Deutschland geprägt hat. In der Nacht zum 14. März verstarb im Alter von nur 72 Jahren der Menschenrechtsaktivist Biplab Basu. Biplab Basu war ein indisch-deutscher Historiker, Bürgerrechtler und Autor, der sich beruflich und juristisch gegen rassistische Polizeigewalt engagierte und für Menschenrechte einsetzte. 2002 war er Mitbegründer der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP). 2022 war auch er mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Verfahren Basu vs. Germany erfolgreich.
Johanna Mohrfeldt, Katharina Schoenes und Sebastian Friedrich schreiben in einem Nachruf[4] : „Obwohl Basu jahrzehntelang gegen institutionellen Rassismus kämpfte, ist er nicht an den Verhältnissen verzweifelt. Er verband eine gewisse Sturheit in politischen Fragen mit einer bemerkenswerten Gelassenheit – so konnte man mit ihm nach Plena oder Podiumsdiskussionen herzhaft über die Debatten lachen, auch über sich selbst. (…) Wir haben nicht nur einen Freund und Genossen verloren, sondern ein Archiv der Kämpfe und einen zentralen Referenzpunkt im Berliner Universum. Biplab Basus Wirken hat Früchte getragen.“
Andreas Foitzik
Download 43. Newsletter „Rassismuskritische Migrationspädagogik“ – April 2024:
PDF-Datei (739,0 kB)
[1] Medienmitteilung Wa Baile EGMR
[2] Pressekonferenz Wa Baile EGMR
[3] Siehe dazu auch das Interview mit Mo Wa Baile, Tarek Naguib und Sarah Schilliger in unserer Publikation „Recht vor Gnade – Die Bedeutung von Menschenrechtsurteilen für die diskriminierungskritische (Soziale) Arbeit. https://adis-ev.de/recht-vor-gnade-bedeutung-von-menschenrechtsurteilen-fuer-die-diskriminierungskritische-soziale
[4] https://www.jungewelt.de/artikel/471951.nachruf-ein-archiv-der-kämpfe.html
Das Netzwerk Rassismuskritische Migrationspädagogik Baden-Württemberg versteht sich als Forum von Menschen aus den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Bildung/Weiterbildung, Hochschule sowie angrenzenden Professionen, die sich fachlich und (fach-)politisch in den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Weiterbildung – und auch darüber hinaus – einmischen und dort Rassismus selbststärkend, reflexiv-kritisch und wenn nötig auch skandalisierend zum Thema machen.
Das Netzwerk informiert mit diesem Newsletter Interessierte in Abständen von circa zwei Monaten über aktuelle Entwicklungen, Veranstaltungen und Publikationen in den Feldern der Rassismuskritik und Migrationspädagogik. Der Newsletter erreicht bundesweit über 2300 Adressen und wird weitgehend ehrenamtlich erstellt. Die Auswahl der Beiträge lebt auch von den Empfehlungen (info@rassismuskritik-bw.de), die bei uns eingehen, und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Redaktion: Andreas Foitzik, Sabine Pester und Axel Pohl |