Drei aktuelle Beispiele, wenn wir verstehen wollen, wie sich Rassismus heute buchstabiert. Und eine Bitte um Unterstützung an Sie alle.
Erstes Beispiel
Wenn wir verstehen wollen, wie sich Rassismus heute buchstabiert, können wir uns das Verhältnis von Konsument_innen, Arbeitskräften und deren Widerstand anschauen.
Als Konsument_innen von Obst und Gemüse profitieren wir von den schlechten Arbeitsbedingungen und der Rechtlosigkeit der Saisonarbeiter_innen. Sicher können wir mit gezieltem Konsum hier auch gegensteuern. Doch selbst der Kauf von regionalem Obst und Gemüse oder von Bioware schützt nicht davor, Betriebe zu unterstützen, die Arbeitsgesetze nicht einhalten.
Ein solcher Fall erreichte die adis-Beratungsstelle mira (Mit Recht bei der Arbeit) im Mai dieses Jahres. 24 georgische Saisonarbeiter_innen haben die unzumutbaren Arbeits- und Wohnbedingungen nicht hingenommen und begonnen sich dagegen zu wehren. Zunächst mit einem Video, das in Georgien und in Folge auch in den zuständigen Bundesbehörden und in der Presse für Aufmerksamkeit sorgte. Nachdem sie mit unserer Unterstützung einen neuen Einsatzort erwirkt hatten und es dort auch nicht besser war, gingen sie – um ihren Lohn betrogen – zurück nach Georgien. Aber einige von ihnen gaben nicht auf und sind von Georgien aus in den Rechtsstreit gegangen. Hier stehen sie nun an einem Punkt, an dem sie aufgeben müssen, weil sie es sich finanziell nicht leisten können, ihr Recht zu erwirken. Die Kolleg_innen von mira und einige Unterstützer_innen haben in den letzten Monaten alles getan, was sie konnten, um die georgischen Kolleg_innen in ihrem Rechtsstreit zu unterstützen. Nun kommen auch sie nicht mehr weiter. Wir haben unglaublich Respekt vor dem Widerstand der georgischen Saisonarbeiter_innen. Doch von dem Respekt können sie sich nichts kaufen. Und hier kommen wiederum wir „Konsument_innen“ ins Spiel, die sich entscheiden können, ob sie den Arbeitskampf unterstützen. In diesem Newsletter finden Sie den Spendenaufruf dazu auf Seite 9.
Zweites Beispiel
Wenn wir verstehen wollen, wie sich Rassismus heute buchstabiert, müssen wir nur auf die Verteilung von Impfdosen weltweit schauen. Nach einer aktuellen Analyse des Forschungsinstituts Airfinity haben die G20-Staaten pro Kopf 15-mal so viele Impfdosen gegen Covid-19 erhalten wie Länder in Subsahara-Afrika oder andere Länder mit niedrigem Einkommen. In Ländern mit niedrigem Einkommen sind daher nur 1,3 Prozent der Menschen vollständig geimpft.
Und den Grund dafür teilt das das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef in der Pressemitteilung (siehe migazin vom 28.10.2021) ebenfalls mit. Von den 1,3 Milliarden Impfdosenspenden, die im Rahmen der Impfstoff-Initiative Covax von den wohlhabenden Ländern großzügig zugesagt waren, sind bisher nur 194 Millionen Dosen angekommen. Insbesondere afrikanische Länder hätten bisher kaum Covid-19-Impfdosen erhalten.
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht im Artikel 25: Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet. Rassismus bedeutet, dass die hier zugesagte Rechte weniger Wert sind als die Profitinteressen der Pharmaindustrie. Rassismus bedeutet, dass zu viele Menschen im reichen Norden dies irgendwie als selbstverständlich hinnehmen, statt sich entschieden dafür einzutreten, die Rechte aller durchzusetzen.
In einer Kunst-Aktion der medico-Gruppe Tübingen hieß es dazu im Sommer 2020: „Wann, wenn nicht jetzt arbeiten wir über die Grenzen hinweg gemeinsam an Impfstoffen und Medikamenten und lassen sie patentfrei allen zukommen?“. Der Artikel 28 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sagt unmissverständlich „Jede hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.“
Eine soziale Ordnung, in der unsere Rechte „voll verwirklicht“ werden. „Voll“, und nicht bloß zum Teil und unter schmerzlichen Lücken. „Verwirklicht“, und nicht bloß versprochen. Jetzt, hier, überall.
Drittes Beispiel
Wenn wir verstehen wollen, wie sich Rassismus heute buchstabiert, können wir auch einen Blick in den Europapark Rust, den größten Freizeitpark Baden-Württembergs werfen. Vielleicht waren Sie schon dort. Vielleicht sind Ihnen bei einigen Fahrgeschäften auch kolonial-rassistische Darstellungen von nicht-weißen Menschen aufgefallen, vielleicht auch nicht. Zwei Freiburger Ethnologie-Studierenden schon. Als sie es öffentlich machen wollten, haben sie erfahren, welcher Gegenwind kommt, wenn koloniale Spuren sichtbar gemacht werden. Isabell Ihring beschriebt dies in ihrem Gastkommentar für diesen Newsletter.
Mit besten Grüßen
Andreas Foitzik und Sabine Pester
Download 33. Newsletter „Rassismuskritische Migrationspädagogik“ – Oktober 2021:
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