Die gute Nachricht zuerst. Zum Jahreswechsel konnten wir die 1000. Abonnent*in dieses Newsletters begrüßen. Das ist nicht weltbewegend, aber ermutigend wie viele der Aktivitäten, Petitionen, Veranstaltungen, Publikationen, die wir in diesem Newsletter zusammengestellt haben.
Der Rest war Trump. So scheint es zumindest, wenn man in den letzten Wochen die Zeitung aufschlug oder mit Kolleg*innen bei der Kaffeepause ins Gespräch kam. Alle die gehofft hatten, dass, wenn erstmal der Wahlkampf vorbei ist, wieder etwas Vernunft einkehren würde, manches nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wurde, wurden eines Besseren belehrt. Schon die Benennung der Männer (ja, es gab es auch wenige Frauen) für die wichtigen Posten und dann noch mehr die ersten Dekrete des neuen US-Präsidenten zeigen eine unverhohlen rassistische und nationalistische Politik, wie sie viele nicht für möglich gehalten haben. Vor allem für die direkt davon betroffenen Gruppen ist das eine Katastrophe und gleichzeitig führt es zu einer massenhaften Repolitisierung der sozialen Bewegungen, die auch ein wenig Hoffnung machen kann.
Diese politische Wende in den USA hat aber Folgen weit über die konkreten Dekrete von Trump hinaus. Nicht vor allem deswegen, weil sie auch für andere extrem rechte und rechtspopulistische Parteien und Bewegungen einen enormen Schub gibt, sondern noch mehr, weil sich die Koordinaten für eine Kritik der politischen Mitte massiv verschoben haben. Was heute als gemäßigte Politik durchgeht, wäre noch vor nicht allzu langer Zeit als Bruch mit den politischen Werten eben dieser Mitte kritisiert worden. Jede konsequent an Menschenrechten orientierte Politik steht dagegen schnell im Verdacht, den Trumps, Le Pens, Petrys, Orbans in die Hände zu spielen.
Während sich die Welt über die vermutlich in ihrer Wirkung eher begrenzten Mauerbaupläne von Trump aufregt, findet sich auf Seite 5 jeder Zeitung ein kurzer Bericht, dass die Grenze zwischen Slowenien und Kroatien nun durchgehend geschlossen sei. Begründet wird dies von der slowenischen Regierung mit der erwarteten Obergrenzenpolitik von Österreich und Deutschland.
Während man kaum glauben kann, wie dreist Trump ein Einreiseverbot gegen einige muslimische Länder verhängt, plant Europa ohne allzu großes Aufsehen, in Libyen (!) Lager für die exterritoriale Durchführung von Asylverfahren zu errichten und forciert die Abschiebungen nach Afghanistan, wo selbst das Rote Kreuz nun seine Aktivitäten weitgehend einstellen musste, weil die Sicherheit der Mitarbeiter*innen nicht mehr zu gewährleisten ist.
Während Trump sein „America first“ in die Welt schreit (und dabei „USA first“ meint), wird kaum ein*e europäische*r Politiker*in darauf verzichten, die Bekämpfung von Fluchtursachen und die Einhaltung von Menschenrechten als Ziel ihrer*seiner Politik zu benennen, um dann das Gegenteil davon zu tun. Ein aktuelles Beispiel: Im Valetta-Prozess hatten Afrika und Europa gemeinsam vier Ziele festgelegt: Hilfe für Wirtschaft, Resilienz, Migrationsmanagement und gute Regierungsführung. Davon sei – so Olawale Maiyegun, Sekretär der Afrikanischen Union, in der taz vom 11. Februar – nun aber keine Rede mehr, es geht faktisch nur noch um Migrationsmanagement. Er fügt hinzu: „Die EU betreibt uns gegenüber Protektionismus. Sie will Handelsabkommen schließen, die für uns tödlich sind. Wenn Europa uns wirklich helfen wollte, müsste es uns helfen, unseren gemeinsame Binnenmarkt aufzubauen und Zugang zu seinen Märkten gewähren. … Ein Deutscher hat es mit seinem Pass heute leichter in Afrika umherzureisen, als ein Afrikaner.“
Auch die Wirtschaftspolitik Deutschlands, die über eine sehr restriktive Lohnpolitik auf Außenhandelsüberschuss setzt, ist nichts anderes als ein „Germany first“. Dass Deutschland von der neoliberalen Krise noch „verhältnismäßig“ verschont geblieben ist, hat es sich nicht verdient, sondern dadurch erreicht, dass andere die Krise ausbaden müssen.
Und wenn sich heute viele schon nach Barack Obama zurücksehnen, hat er dies auch der Tatsache zu verdanken, dass er beispielsweise die zigtausenden zivilen Opfer der Drohnenangriffe, die er wöchentlich abgezeichnet hat, eben nicht an die große Glocke gehängt hat.
Das Problem an der (berechtigten) Kritik an Trumps Umgang mit der Wahrheit ist die Gefahr, dass – ohne es ausdrücklich zu benennen – der angenommene Wahrheitsgehalt von politischen Statements aus der politischen Mitte proportional mit der Dreistigkeit seiner postfaktischen Lügen steigt.
Ja, Obama muss einem lieber sein als Trump, Merkel ist das kleinere Übel als Petry oder Seehofer. Es geht um die Frage, was Kritik noch leisten kann, wenn selbst von politisch nahestehenden Kolleg*innen eine Kritik an Merkel reflexartig mit einem Hoch auf ihre Politik des Willkommens im Jahr 2015 (war das wirklich erst vor einem guten Jahr???) gekontert wird.
Kritik bedeutet, einen Abstand einzunehmen, um mehr verstehen zu können. Kritik bedeutet, das politische Handeln der politischen Eliten wie der Bürger*innen nicht nur als eine Form von persönlichem Fehlverhalten in den Blick zu nehmen, sondern es aus den Verhältnissen heraus zu analysieren, die bestimmte Handlungen nahelegen, wenn auch nicht bedingen. Wenn Steinmeier in seiner ersten Rede als Bundespräsident etwas populistisch sagt, die Welt sei aus den Fugen, dann ist zu fragen, warum. Er bleibt die Antwort schuldig. Müsste er sonst doch zumindest auch über einen Kapitalismus reden, der auf der einen Seite immer mehr Menschen dauerhaft aussortiert – je nach Ort auf dieser Erde mit mehr oder weniger brutalen Folgen – und auf der anderen Seite immer mehr von den Menschen verwertet – auch dies je nach Ort auf dieser Erde mit mehr oder weniger brutalen Folgen. Er müsste erklären, warum das „Prokopf-Einkommen“ der in US-amerikanischen Haushalten gehaltenen Hunde als „Dogland“ einen Mittelfeldplatz im Weltmaßstab vor Ländern wie Ägypten und Paraguay verschaffen würde (nach Stephan Lessenich) und sollte fairer Weise das Prokopfeinkommen deutscher Hunde nicht verschweigen.
Über das in dieser – zugegebenermaßen polemischen – Zuspitzung sichtbar werdende Ausmaß sozialer Ungleichheit will kaum jemand reden. Die Politik glaubt es sich nicht leisten zu können, weil sie dann auch über Ratlosigkeit sprechen müsste, wie diese Verhältnisse veränderbar wären, ohne sie wirklich zu verändern. Aber auch für „uns“ Konsument*innen, Bürger*innen, Mitarbeitende, Mehr-oder-weniger-Teilhabende ist eine Kritik des Rassismus und Nationalismus einzelner besonders abstoßender Exemplare einer politischen Klasse bequemer, als sich beispielsweise die Mühe zu machen, nach der Funktion von rassistischen und nationalistischen Bildern und Stereotypen zu fragen, die es überhaupt möglich machen, dass uns dieses Ausmaß sozialer Ungleichheit (oder nennen wir es Ausbeutung?) nicht völlig zynisch und pervers vorkommt.
Kritik bedeutet auch, sich nicht in der Defensive einzurichten und in den Logiken zu argumentieren, die der Diskurs vorgibt. Warum fordern wir beispielsweise nicht, dass die aufnehmenden Länder zumindest dann, wenn Geflüchtete oder Arbeitsmigrant*innen hier Arbeit finden, den Betrag, den sie zu ihrer Ausbildung gespart haben, den Ländern auszahlen müssen, die in ihre Bildung (Kindergarten, Schule, Universität) investiert haben. Dann würde zum einen die immense Summe deutlich werden, die „wir“ volkswirtschaftlich von Migration und Flucht profitieren. Zum andern ließen sich gesellschaftliche Investitionen in die Anerkennung und Aufwertung mitgebrachter Kompetenzen ganz anders begründen.
Kritik bedeutet nicht zuletzt, die Verhältnisse nach Handlungsmöglichkeiten hin zu untersuchen. Auf allen Ebenen. Anfangen könnten wir in unserem zum Beispiel sozialarbeiterischen oder pädagogischen Alltag. Was könnten Aufgaben einer an Menschenrechten orientierten sozialen Arbeit und Bildung sein? Wo können wir einen Beitrag zur Kritik auch in unseren beruflichen Kontexten leisten? Wie kann dies in Bildungsprozessen aufgegriffen werden? Wo gilt es, sich zu verweigern? Unser Aufruf „Pädagog_innen gegen die Abschiebung von Roma in den Kosovo“ ist aktueller denn je. Die ersten unbegleiteten Geflüchteten sind nach Afghanistan abgeschoben worden. Wie steht es hier um unsere Fürsorgepflicht? Welche Verantwortung tragen wir? Wo ist unsere Obergrenze erreicht? Wie könnte eine derartige Repolitisierung sozialer Arbeit und Pädagogik aussehen?
Dies geht nicht wirklich gut alleine. Es braucht Netzwerke und Reflexionsräume.
In diesem Sinne mit den besten Wünschen
Sabine Pester und Andreas Foitzik
Download 15. Newsletter „Rassismuskritische Migrationspädagogik“ – März/April 2017:
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