Cover Newsletter 14

14. Newsletter Rassismuskritische Migrationspädagogik

Das Editorial dieses Newsletters begann mit der Frage, „Wo steht die Migrationsgesellschaft am Ende des Jahres 2016?“, als die Nachrichten von dem Terroranschlag aus Berlin bei uns ankamen.

Wir wollten über die neu aufkommende Diskussion zu doppelten Staatsbürgerschaft innerhalb der CDU, die erste Sammelabschiebung abgelehnter Asylbewerber vom Frankfurter Flughafen nach Afghanistan, der vom Baden-Württembergischen Innenminister Strobl geforderten Absenkung von Abschiebehürden, Kürzung von Soziallleistungen und den Aufbau von Rückführungszentren in Afrika schreiben. Davon, wie sich einige Politker_innen mit rasantem Tempo dem Sprech der AfD anschließen oder ihre Themen übernehmen, sich darauf vorbereiten, wieder einen Wahlkampf auf Kosten ausgegrenzter „Gruppen“ zu machen.

Auch von kleinen Zeichen der Solidarität, des Aufbegehrens, wie die Demonstration gegen die Sammelabschiebung am Frankfurter Flughafen, an denen sich immerhin, oder soll man sagen nur, mehrere hundert Menschen beteiligten? Oder dem kleinen Erfolg, dass in letzter Minute verhindert werden konnte, dass zwei Afghanen aus baden-württembergischer Abschiebehaft mit in der Sammelzwangsweise ausreisen mussten.

Kleine Zeichen von Solidarität, oft auch unspektakulär in den immer noch – aber eben irgendwie auch mit der Betonung auf „noch“ – arbeitenden Unterstützungskreisen vor Ort. Sie können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in den Sozialen Medien eine Atmosphäre von Hass und Verrohung entwickelt hat.

Längst begegnen wir den dahinterstehenden Haltungen auch in „unseren Räumen“. Bei einer Tagung zum Thema Rassismus in Bad Boll mussten wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass ein Teilnehmer erkannt wurde als Autor der Seite Political Incorrect. In Fortbildungen und Uniseminaren werden Positionen eingenommen, die noch vor kurzer Zeit nicht zu hören waren. Die Universität Frankfurt hat gegenüber der Rolle eines Studierenden, der als Aktivist der Jungen Alternativen (AfD) bekannt ist, bei einem rassismuskritischen Seminar des Gleichstellungsbüros eine unglückliche Rolle eingenommen und hat ihre Haltung erst auf Druck aus den Netzwerken revidiert (siehe auch https://rassismuskritischebildungstaerken.wordpress.com/). Die Koordinaten unserer Arbeit scheinen sich mehr und mehr zu verschieben. Auf den Rechtsruck in nahezu allen europäischen Ländern und den USA haben wir noch keine überzeugende Antwort gefunden.

Und jetzt Berlin. Die ersten Reaktionen ergeben – wie schon nach dem Freiburger Vergewaltigungsfall – ein doppeltes Bild. Ja, es gibt die, die daraus Kapital schlagen wollen, die Hass schüren und polarisieren. Aber es gibt auch viele, die gelernt haben, diese Ereignisse einzuordnen und sich um Gelassenheit bemühen, trotz der Grausamkeit der Vorkommnisse, aber im Wissen, dass sich an dieser Frage auch entscheidet, in welchem Land wir in zehn Jahren leben werden.

Es kommt jetzt auch auf uns als in vielfältigen Handlungsfeldern Tätige an. Wir dürfen uns jetzt nicht in unsere Seminare, Jugendhäuser oder Wohnzimmer zurückziehen, sondern müssen lauter werden, uns einmischen in die Debatten, müssen zeigen, dass wir etwas zu sagen haben. Wir müssen deutlich machen, dass es den Tätern von Paris, Brüssel, Berlin in die Hände spielt, wenn wir jetzt zulassen, dass wieder über die doppelte Staatsbürgerschaft diskutiert werden kann, oder, wenn wir zu Sammelabschiebungen nach Afghanistan, zunehmender Abschottung Europas und Verschärfung von Asylgesetzen achselzuckend schweigen, weil wir nicht als realitätsferne Utopist*innen und Gutmenschen erscheinen wollen.

Gerade jetzt braucht es Menschen, die an der Idee der Menschenrechte festhalten und daraus abgeleitet um politische Lösungen streiten für all die nahezu monströsen Herausforderungen, die ein sich immer mehr entfesselnder globaler Kapitalismus zu verantworten hat, in der eigenen Logik aber wird nicht lösen können.

Das meint kein einfaches „weiter so“. Dazu drei kurze unfertige Impulse …

  • Wenn wir den populistischen Vereinfachungen nicht auf gleichem Niveau begegnen wollen, müssen wir den Menschen zutrauen und zumuten, die komplexen Zusammenhänge und widersprüchlichen Verhältnisse zu verstehen. Aber wir müssen darin eine Sprache und vielleicht auch Formate entwickeln, in denen darüber eine Kommunikation im nichtakademischen Rahmen möglich wird.
  • Vermutlich ist es richtig, dass „wir“ (wer immer sich von diesem „wir“ angesprochen fühlen mag) in einer Fokussierung auf eine Kritik rassistischer Verhältnisse die altmodisch erscheinende „Klassenfrage“ zu wenig in unsere Analysen und vor allem unsere Praxis einbezogen haben. Die Rezeption des autobiografischen Essays „Rückkehr nach Reims“ von Didier Eribon weist in diese Richtung.
  • Nach Jahrzehnten der Rede von der Alternativlosigkeit der bestehenden ökonomischen Verhältnisse scheint jeder Verweis auf die Bedeutung dieser Verhältnisse für aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen wie Armut, Migration oder Umweltzerstörung wertlos, weil sich keine Handlungsoptionen daraus abzuleiten lassen scheinen, ohne die Systemfrage zu stellen, die eben aber nicht mehr gestellt werden kann. Ohne die Verbindung des Handelns der Einzelnen mit den herrschenden Logiken besteht aber die Gefahr, die Handelnden „auf die Anklagebank“ zu setzen, anstatt gemeinsam mit ihnen zu überlegen, welche Effekte das Handeln hat, weil es in bestimmten Verhältnissen eingebettet ist. Konkret: Ist beispielsweise die Kritik an einer rassistischen Sprechweise eine Kritik an der*dem Sprechenden oder wird sie verbunden mit einer Kritik an Verhältnissen, die dieses Sprechen überhaupt zu einem rassistischen Sprechen machen?

Mehr denn je braucht es Netzwerke und Reflexionsräume, in denen wir uns gemeinsam diesen und anderen Fragen stellen und gemeinsam daraus auch eine Stärke entwickeln.

Zuletzt noch ein Hinweis in eigener Sache. Unsere Ankündigung im letzten Newsletter, dass dies der letzte landesgeförderte Newsletter sei, wurde von manchen so verstanden, dass dies der letzte Newsletter überhaupt sei. Wir haben uns über die bedauernden Mails gefreut, können aber versichern, dass wir auch ohne die Landesförderung weitermachen und auch in 2017 uns immer wieder mit diesem Newsletter zu Wort melden werden. Dabei sind wir dankbar für inhaltliche Hinweise und Unterstützung jeglicher Art.

Mit den besten Wünschen für eine hoffentlich trotz alledem ruhige Zeit zwischen den Jahren verbleiben

Sabine Pester und Andreas Foitzik

14. Newsletter „Rassismuskritische Migrationspädagogik“ – Dezember 2016:

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